Die Wirren nach dem Tode Kaiser Maximilians I.

1519 starb Kaiser Maximilian in Wels. In der ständischen Erhebung nach Maximilians Tod spielte Wien ein letztes Mal eine selbständige politische Rolle. Die Gelegenheit schien günstig: Ferdinand und Karl, Maximilians Enkel und Erben, waren weit weg, in Spanien, also versuchten die niederösterreichischen Stände, die unter Maximilian verlorene Macht wiederzugewinnen.

Maximilian I. hatte zu Ende des 16. Jahrhunderts sogenannte Regimenter geschaffen, ständige Behörden, die von besoldeten Beamten kollegial geführt wurden und im Namen des Herrschers die laufenden Regierungsgeschäfte in den Erblanden kollegial besorgten. Das „niederösterreichische“ Regiment in Wien war für Österreich ob und unter der Enns, Steiermark, Kärnten und Krain zuständig. Das Stadtrechtsprivileg für Wien vom 20. November. 1517 übertrug dem niederösterreichischen Regiment die nachträgliche Bestätigung der Wiener Ratswahl, verbunden mit dem Recht, nicht genehme Mandatare durch andere zu ersetzen. Jedes Jahr sollte ein anderer Bürgermeister gewählt werden, die Wiederwahl eines Kandidaten war erst nach drei Jahren gestattet.

Insbesondere in den fünf „niederösterreichischen“ Ländern opponierten die Landstände – die Interessenvertretungen der Herren, Prälaten, Ritter und landesfürstlichen Städte – gegen das landesfürstliche Regiment und drangen auf stärkere Beteiligung an der Zusammensetzung und Beschlussfassung dieser Behörde. Kern dieser Opposition war Österreich unter der Enns, in dessen Hauptstadt Wien das Regiment seinen Sitz hatte; dort empfand man seine Eingriffe und Unzulänglichkeiten unmittelbar, der 1512 von seinen damaligen Stadtrichter Dr. Martin Siebenbürger eingeleitete Strafprozess gegen den Mautbeamten Lienhard Laffner stellte einzelne Mitglieder des Regimentes empfindlich bloß.

Nach dem Tode Maximilians am 12. Jänner 1519 nahm die Aufstandsbewegung gegen das landesfürstliche Regiment von Wien ihren Ausgang. Die Stände des Landes Österreich unter der Enns überließen die Entscheidung über das weitere Vorgehen der Stadt Wien. Als der Ständebeschluss bekannt wurde, drang eine Abordnung der radikalen Partei in den Landtagssaal ein und zwang den Wiener Bürgermeister, sich im Sinne der Opposition gegen die bestehende Regierung zu entscheiden. * (Gutkas, Karl: Geschichte Niederösterreichs, Verlag für Geschichte und Politik Wien, 1984, S. 97/98.) Auf dem von 28. Jänner bis 10. Februar 1519 währenden Landtag in Wien gab die Stellungnahme der Stadt Wien den Ausschlag dafür, dass sich die Mehrheit der Stände Österreichs unter der Enns vom alten Regiment lossagte und ein neues Regiment mit 64 Abgeordneten, 16 aus jeder Ständekurie, schuf; 16 Abgeordnete, vier aus jeder Kurie bildete die eigentliche Landesregierung, den sogenannten Landrat. Von den Abgeordneten der städtischen Kurie stellte Wien die Hälfte im Plenum also acht – darunter befand sich neben Dr. Martin Siebenbürger auch Martin Keck - im Landrat zwei. Ähnliche ständische Regimenter bildeten sich auch in Österreich ob der Enns, Steiermark, Kärnten und Krain. Das entmachtete landesfürstliche Regiment zog sich nach Wiener Neustadt zurück.

Maximilians Erben und Nachfolger, Karl (V.) und Ferdinand (I.) weilten damals fernab von Österreich: Karl in Spanien, Ferdinand in den Niederlanden; die Interessen im Reich und in den Erblanden nahm eine Kommission wahr, die sich mit Schreiben vom 17. März 1519 den Ständen der fünf niederösterreichischen Länder vorstellte. Diese tagten damals gemeinsam in Bruck an der Mur und beschlossen eine Abordnung zu Karl nach Spanien zu entsenden, welche die Anerkennung der neuen ständischen Regimenter erwirken sollte.

Während die ständischen Delegierten unterwegs waren, fielen wichtige politische Entscheidungen; am 28. Juni 1519 wählten die Kurfürsten in Frankfurt Karl zum deutschen Kaiser, am 27. Juli 1519 schuf Karl V. aus der bisherigen Kommission ein in Augsburg tagendes oberstes Regiment, das die Erhuldigung der Stände entgegennehmen sollte. Steiermark, Kärnten und Krain gaben die Opposition auf. Die Erbhuldigungen in Niederösterreich, insbesondere in Wien stießen zunächst auf Schwierigkeiten. Nach Versprechungen des Kaisers huldigten am 9. Juli 1520 auch die Vertreter der niederösterreichischen Stände; den Wienern kam die Huldigungskommission so weit entgegen, dass sie den Eid mit dem Zusatz abnahm, dass man dem alten Regiment keinen Gehorsam mehr schulde.

Anlässlich der Erbhuldigung in Wien am 11. Juli 1520 machten Stadtanwalt Dr. Hans Cuspinian, Dr. Georg Schrättl, Dr. Jost Welling, Wolfgang Treu, Hans Süß und Marx Treytz-Saurwein vom Zusatz zur Eidesformel keinen Gebrauch. Am 13. Juli 1520 erzwang der Ausschuss die Ausweisung von Treu, Süß und Treytz-Saurwein aus Wien mit der Begründung, dass sie die Beschlüsse des Landrates an das alte Regiment verraten hätten.

Nachdem die Kommissäre Kaiser Karls V. auf einem Landtag in Klosterneuburg im Oktober 1520 dessen Bereitschaft zur Bestätigung der Privilegien der Stände Österreichs unter der Enns bekundet hatten, schien sich um die Jahreswende 1520/21 eine einvernehmliche Lösung abzuzeichnen.

Das Blutgericht von Wiener Neustadt

Aus den Neuwahlen für Bürgermeister und Rat, die Karl V. 1520 unter Aufsicht einer kaiserlichen Kommission ansetzte, ging aber Martin Siebenbürger als Sieger hervor. Der Stadtrat bestand nun fast ausschließlich aus Männern der Oppositionspartei; nur sieben von den bisherigen gemäßigten Räten darunter Martin Keck wurden beibehalten.  * (Perger, Richard: Der Wiener Rat von 1519 bis 1526 in JB.VGStW 35 (1979).)

Erzherzog Ferdinand
Bildnis des Erzherzogs Ferdinand als etwa Siebzehnjähriger (Ausschnitt)
Guillaume Scrots zugeschrieben

Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie

Karl bestätigte die Wahl, verzichtete aber im April 1521 zugunsten seines Bruders Ferdinand auf die österreichischen Länder. Ferdinand war aber nicht der Mann, sich von den Ständen Insubordination bieten zu lassen. Die Ratswahl für 1522 stand sichtlich unter dem Eindruck der Festigung der landesfürstlichen Macht unter Ferdinand; mit Ausnahme von Dr. Martin Siebenbürger, der als Altbürgermeister nun den ersten Ratssitz einnahm, war kein Radikaler mehr im Rate vertreten. Im Stadtrat des Jahres 1522 saßen nur noch drei bisher im Hintergrund gestandene Mitglieder der Bürgerausschusspartei: Dionys Keck, Veit Regel und Stephan Kiessling; diese hatten wohl dem außerordentlichen Ausschuss von 1519 – 20 angehört, sich jedoch nicht exponiert.

Ferdinand reiste nun nach Österreich, hielt zu Linz Hochzeit mit Prinzessin Anna von Ungarn und begann Unterhandlungen mit den Ständen. Er schlug im Sommer in Wiener Neustadt seinen Sitz auf, und erklärte, er werde nun sein Versprechen erfüllen und Gerechtigkeit üben. Nun wurde ein großer Prozess anberaumt, zu dem alle, die am Revolutionslandtag von 1519 teilgenommen hatten, vorgeladen wurden.  * (Gutkas, Karl: Geschichte Niederösterreichs, Verlag für Geschichte und Politik Wien, 1984, S. 98/99.)

Dieser Prozess fand vom 10. – 23. Juli 1522 statt und ging als „Wiener Neustädter Blutgericht“ in die Geschichte ein. Erzherzog Ferdinand leitete das Verfahren selbst. Einer der Sekretäre des Gerichtes war Marx Treytz-Saurwein, der Schwiegersohn von Paul Keck. Das Gericht verurteilte Dr. Martin Siebenbürger und seine Mitstreiter zum Tode. Am 9. August 1522 wurden die beiden Führer der Adelspartei, Hans von Puchheim und Michael von Eitzing, enthauptet, am 11. August die Führer der Bürgerlichen, Dr. Martin Siebenbürger und die Wiener Ratsherren Hans Rinner, Friedrich Pietsch, Stefan Schlaginweit und Martin Flaschner und später Hans Schwarz. * (Gerhartl, Gertrud: Wiener Neustadt, Braumüller, Wien 1978, S 205 .)

Blutgericht zu Wiener Neustadt
Hinrichtung der Wiener Ratsherren auf dem Hauptplatz von Wiener Neustadt
Josef Ferdinand Waßhuber (1698 - 1765) 1. Hälfte 18. Jahrhundert.

Wiener Neustadt Stadtmuseum

Damit war der Kampf zwischen ständischen Vorrechten und der absoluten Macht des Landesfürsten beendet. Am 16. August entzog Ferdinand I. der Stadt Wien sämtliche Privilegien und Gewohnheitsrechte. Den Schlussstrich unter diese Entwicklung zog Ferdinand I. mit der am 12. März 1526 erlassenen Stadtordnung. Sie bedeutete für Wien im rechtlichen Sinne das Ende der städtischen Autonomie. Nunmehr gilt der in Verordnungen gekleidete Wille des Fürsten, dem sich die Bürger zu beugen haben. Der dem Landesfürsten direkt unterstellte Stadtanwalt erhält erweiterte Kompetenzen. Bei ihm liegt die eigentliche Machtkonzentration. Er nahm an den Ratssitzungen teil, die ohne ihn nicht einmal einberufen werden durften, und er hatte ein praktisch unumschränktes Vetorecht gegenüber allen Ratsbeschlüssen. * (Stadtchronik Wien, 2000 Jahre in Daten, Dokumenten und Bildern, 1. Auflage, Christian Brandstätter, Wien 1986, S 106.)


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