Die Bene¹–Dekrete


Die Vertreibungen der deutschen und ungarischen Minderheit an Anschein wurden von legislativen Maßnahmen begleitet, die unter dem Begriff  „Bene¹–Dekrete“ zusammengefasst sind. Zuerst waren es Präsidialverfügungen, die vom Präsidenten der Tschechoslowakischen Republik auf Vorschlag der Regierung erlassen wurden. Nach der Konstituierung der vorläufigen Nationalversammlung am 28. November 1945 bestand keine Notwendigkeit mehr, mit Dekreten zu regieren. Es wurden wieder Gesetze verabschiedet.

Dekret vom 19. Mai 1945

Es begann mit dem Dekret vom 19. Mai 1945, das alle Vermögensänderungen ab dem 29. September 1938 für ungültig erklärt. Es richtet sich also zunächst gegen die während der Zeit in der Okkupation erfolgten finanziellen Transaktionen, Bereicherungen und Diebstähle. Im § 2 wird das im Gebiet der Tschechoslowakischen Republik befindliche Vermögen der staatlich unzuverlässigen Personen unter nationale Verwaltung gestellt.

Als staatlich unzuverlässig gelten nach § 4 vor allem Personen deutscher oder madjarischer Nationalität. Als Personen deutscher oder madjarischer Nationalität sind nach § 5 Personen anzusehen, die sich bei irgendeiner Volkszählung seit dem Jahr 1929 zur deutschen oder madjarischen Nationalität bekannt haben

Das Dekret geht von einer Kollektivschuld aus, für die eine Kollektivstrafe verhängt wird. Wer sich bei einer Volkszählung seit dem Jahr 1929 zur deutschen Nationalität bekannt hat, gilt als schuldig. Sein Vermögen wird daher konfisziert und unter nationale Verwaltung gestellt. Mit diesem Dekret haben die Verfasser und Unterzeichner der Dekrete, kaum von der viel Unrecht verursachenden und auf Unrecht aufbauenden Phase der Okkupation befreit, neues Unrecht dekretiert.

Dieses Merkmal des Bekenntnisses zu einer Sprache ist einfach zu verwalten und entspricht viel eher den kulturellen Gegebenheiten als etwa die schwachsinnige und wissenschaftlich nicht haltbare Rassenidologie der Nationalsozialisten. Während dort eine umfassende Recherche über Generationen erforderlich war, um seine „arische“ Abkunft zu dokumentieren, genügte den Tschechen die einfache Nachschau in die Akten einer Volkszählung, abgesehen davon, dass in den Dörfern ohnehin bekannt war, in welchen Familien deutsch und in welchen tschechisch gesprochen wurde.

Wenn wir die Namen in dieser Familiengeschichte betrachten, so finden wir viele, die mit Sicherheit nicht deutschen Ursprungs sind. Namen wie Blaschka, Czuka, Dobrawa, Hawle, Kolar, Konek, Kwotschka, Marek, Matzka, Mokry, Neswadba, Podac, Poluschni und Rossak deuten wohl eher auf slawische als auf deutsche Wurzeln hin. Auch bei dem oft vorkommenden Namen Spazierer dürfte es sich um eine Übersetzung des tschechischen Prohaska handeln. Es war doch offenbar so, dass zwischen den Angehörigen der beiden Ethnien Ehen geschlossen wurden und dass bei einer Hochzeit ein Ehepartner in den Kulturkreis des anderen eingetreten ist. Nach einigen Generationen war seine Herkunft verwischt. Dadurch, dass die Bene¹–Dekrete an das Sprachbekenntnis anknüpfen, gab es auch keine „Halbtschechen“ oder „Vierteltschechen“.

Für die Umgebung von Eisgrub gilt noch der Spezialfall, dass in Bischofswarth und Themenau Kroaten angesiedelt worden waren, die aber schon zur Zeit der Monarchie tschechisch unterrichtet wurden.

Dekret vom 19. Juni 1945 (Retributionsdekret )

Dieses Dekret regelt „die Bestrafung der nazistischen Verbrecher, der Verräter und ihrer Helfershelfer“. Wer Funktionär – und nicht Mitglied! – in einer NS-Organisation war, wer die nationalsozialistische Bewegung propagiert und unterstützt, wer Bewohner der Republik denunziert oder angezeigt und wer weitere im Dekret genau festgelegte Verbrechen begangen hat, wird je nach der Schwere der Tat bestraft. Der Strafrahmen reicht von fünf Jahren schwerem Kerker bis zur Todesstrafe.

An diesem Dekret wird man schwerlich rütteln können, zudem es sich ja nicht nur gegen die Deutschen, sondern ebenso gegen tschechische Kooperateure und Kollaboranten richtet.

Dekret vom 21. Juni 1945

Hier wird die Konfiskation und die Aufteilung des landwirtschaftlichen Vermögens von „Deutschen, Madjaren wie auch der Verräter und Feinde des tschechischen und des slowakischen Volkes“ geregelt. Schon die Überschrift lässt den Geist des Dekretes erkennen, da die Kategorie „Deutsche“ offenbar synonym zur Kategorie „Verräter und Feinde des tschechischen und slowakischen Volkes“ verwendet wurde.

Das landwirtschaftliche Vermögen von allen Personen deutscher und madjarischer Nationalität wird entschädigungslos konfisziert. Wie im Dekret vom 19. Mai wird weiter bestimmt, dass jene Personen, die sich bei irgendeiner Volkszählung seit 1929 zur deutschen Nationalität bekannten, als „Personen deutscher Nationalität“ gelten.

Allerdings enthält der § 1 Punkt 2 die Einschränkung: „Personen deutscher und madjarischer Nationalität, die sich aktiv am Kampf für die Wahrung der Integrität und die Befreiung der Tschechoslowakischen Republik beteiligt haben, wird das landwirtschaftliche Vermögen nach Absatz 1 nicht konfisziert.“

Auf Antrag entscheidet der zuständige Bezirksnationalausschuss, ob „eine Ausnahme zulässig“ ist. Doch dürfte es in den wenigsten Fällen gelungen sein, überhaupt einen Antrag zu stellen; sollte es ein deutscher Bauer doch geschafft haben, dann musste er als Folge der umgekehrten Beweislast zuerst einmal in vielen Verhandlungen seine „Unschuld“ nachweisen. Was ihm sicher misslang, sollte er – siehe oben – in einer der Volkszählungen ab 1929 in der Spalte „Volkszugehörigkeit“ „deutsch“ eingetragen haben.

Daher kann man behaupten, dass auch dieses Dekret – trotz der unter Punkt 2 erfolgten Ausnahmeregelung – vom Prinzip der Kollektivschuld und kollektiven Bestrafung ausgeht und so allen völkerrechtlichen, zivilrechtlichen sowie nicht zuletzt menschlichen Usancen widerspricht.

Dekret vom 20. Juli 1945

Als Folgedekret des letzten Dekretes wird hier die Neubesiedlung des konfiszierten Bodens durch „tschechische, slowakische und andere slawische Landwirte“ geregelt. Selbst ein nach den Kriterien der neuen Machthaber „unschuldiger“ Deutscher könnte also nicht Land und Boden erhalten, da diese ausnahmslos nur an slawische Landwirte verteilt werden.

Dekret vom 2. August 1945

Die Staatsbürger deutscher oder madjarischer Nationalität verlieren die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft. Dieses Dekret erstreckt sich nicht auf jene Deutschen, die sich „in der Zeit der erhöhten Bedrohung der Republik bei der amtlichen Meldung als Tschechen oder Slowaken bekannt haben“.

Diese Ausnahmeregelung ist natürlich eine Farce. Bei genauer Betrachtung ist sie in etwa deckungsgleich mit der Regelung, nach der jene Deutschen schuldig sind, die ab 1929 – also der Zeit der erhöhten Bedrohung der Republik – bei amtlichen Meldungen sich als „deutsch“ bekannt haben.

In einem Erlass des Innenministeriums vom 24. August werden die Durchführungsbestimmungen erläutert. Einerseits genüge es nicht, sich „einmal“ als Tscheche bekannt zu haben; dies müsse „andauernd“ erfolgt sein. Beim zuständigen Bezirksnationalausschuss könne allerdings um eine Ausnahme von der Regelung ersucht werden, sollte man sein loyales Verhalten nachweisen können. Der Bezirksnationalausschuss wählt eine Kommission, die die Entscheidungsfindung gewährleisten soll. Vor der Entscheidung wird das Gutachten eines antifaschistischen Rates eingeholt, der aus zur Tschechoslowakischen Republik loyalen Deutschen besteht.

Auf jeden Fall die Staatsbürgerschaft verlieren: Richter und Beamte des Gerichtes, Mitglieder der leitenden Beamtenschaft, Angestellte des höheren Dienstes, Lehrer sowie Inhaber eines faschistischen Ehrenranges.

Dekret vom 19. September 1945

Das Dekret vom 2. August 1945 (Verlust der Staatsbürgerschaft) wird durch ein Folgedekret ergänzt: All jene Personen, die durch obiges Dekret die Staatsbürgerschaft verloren haben, werden zur Arbeitspflicht verurteilt. Der Arbeitspflicht unterliegen Männer vom 14. bis zum 60. Lebensjahr und Frauen vom 15. bis zum 50. Lebensjahr. Ausnahmen gelten für Schwangere und für Wöchnerinnen.

Dekret vom 27. Oktober 1945

Die Sicherstellung – praktisch die Verhaftung – jener Personen, die als staatlich unzuverlässig angesehen werden, wird für zulässig und gesetzmäßig erklärt. Als staatlich unzuverlässig gelten die im Dekret vom 19. Mai 1945 erfassten Personen.

Gesetz vom 8. Mai 1946

Das Gesetz vom 8. Mai 1946 greift das Thema „Behandlung der Deutschen“ in besonderer Weise auf. Es beinhaltet die „Rechtmäßigkeit von Handlungen, die mit dem Kampf um die Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken“ zusammenhängen. Eine Handlung, „die eine gerechte Vergeltung für Taten der Okkupanten oder ihrer Helfershelfer zum Ziele hatte, ist auch dann nicht widerrechtlich, wenn sie sonst nach den geltenden Vorschriften strafbar gewesen wäre.“

Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes werden wohl sämtliche rechtsstaatlichen Prinzipien verletzt. In der Phase vor seiner Unterzeichnung, besonders im Frühling und Sommer 1945, waren ja die „wilden“ Vertreibungen erfolgt, manche Tschechen hatten sich an manchen Deutschen persönlich gerächt, sie verprügelt, sie bestohlen, sie erschlagen. Alle diese Handlungen, die logischerweise auch gegen die Gesetze der  neuen Republik verstießen, wurden mit dem Gesetz vom 8. Mai 1946 unter dem Deckmantel „Vergeltung für Taten der Okkupanten“ im Nachhinein legalisiert und für straffrei erklärt.

Betrachten wir die erlassenen Dekrete und das Gesetz vom 8. Mai 1946, so müssen wir feststellen, dass zumindest drei Dekrete und eben besagtes Gesetz in eklatantem Widerspruch zu den Menschenrechten stehen: das Dekret vom 19. Mai 1945, welches das Vermögen der Deutschen konfisziert; dann das Dekret vom 21. Juni 1945, das die landwirtschaftlichen Besitzungen enteignet, weiter das Dekret vom 2. August 1945, das die tschechische Staatsbürgerschaft entzieht, mit seinen Folgedekreten vom 19. September und vom 27. Oktober 1945,  welche die Internierung in Arbeitslagern beziehungsweise die Sicherstellung jener Personen vorsehen, denen im Dekret vom 2. August 1945 die Staatsbürgerschaft entzogen wurde; und schlussendlich das Gesetz vom 8. Mai 1946, das alle möglichen Untaten gegen die deutsche Bevölkerungsgruppe im Nachhinein legalisiert. * (Beyerl, Beppo: Die Bene¹–Dekrete — Zwischen tschechischer Identität und deutscher Begehrlichkeit, Promedia Wien 2002.)

Das Potsdamer Abkommen

In der Zeit vom 17. Juli bis 2. August 1945 verhandelten die Spitzenpolitiker der Großmächte Truman, Stalin und Churchill (später Attlee) um die Grundsätze für die Behandlung des besiegten Deutschen Reiches und seiner Bewohner festzulegen. Der „deutsche Militarismus und Nazismus“ sollten „ausgerottet“ und alle notwendigen Maßnahmen getroffen werden, „damit Deutschland niemals mehr seine Nachbarn oder die Erhaltung des Friedens in der ganzen Welt bedrohen könne“.

Das Potsdamer Abkommen regelte unter anderem auch die Besetzung Deutschlands, die Entnazifizierung und die Verfolgung von Kriegsverbrechern. Weiters wurde die Oder–Neisse–Linie als Westgrenze Polens festgelegt, das Gebiet um Königsberg/Kaliningrad unter sowjetische Verwaltung gestellt und der Transfer der Deutschen aus Polen und der Tschechoslowakei angeordnet. Der tschechische Historiker Karel Kaplan bemerkt dazu lapidar: „Die westlichen Vertreter stimmten ohne große Diskussion dem Antrag Stalins auf Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn zu.“

Im Artikel XIII bekundeten die Vertreter der drei Großmächte, dass der Transfer der deutschen Bevölkerung nach Deutschland durchgeführt werden müsse. Gleichzeitig erklärten sie, der Transfer möge in ordnungsgemäßer und humaner Art durchgeführt werden. Allerdings sind sich Juristen und Historiker darüber uneinig, ob mit Artikel XIII des Potsdamer Vertrags eine „Anerkennung“ oder eine „Gutheißung“ der Vertreibung ausgesprochen wurde

Daraufhin avisierte die Prager Regierung in einer Note vom 16. August 1945 die Aussiedlung von 2,5 Millionen Deutschen. Am 20. November genehmigte der in der Potsdamer Konferenz installierte Alliierte Kontrollrat den tschechoslowakischen Aussiedlungsplan.
 
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