Der Erbschaftsstreit nach dem Tode von Stefan Vorchtenauer

Nach dem Tod des Stefan Vorchtenauer entspann sich ein Erbschaftsstreit zwischen Margarethe Vorchtenauer, vertreten durch ihren zweiten Mann Dr. Hanns Wepp und der Familie Keck, der ein bezeichnendes Licht auf die Verhältnisse und die Gerichtsbarkeit jener Zeit wirft. Als Kläger traten Bürgermeister Keck in Vertretung seines Enkelkindes Margarete Schnitzer, und Martin Keck in Vertretung seiner Schwester Barbara auf. Barbara Keck war in erster Ehe mit Lukas Schnitzer verheiratet gewesen. Dr. Stefan Vorchtenauer verwaltete nach dem Tode von Lukas Schnitzer das Vermögen von dessen unmündiger Tochter Maria.

Nach dem Tode von Stefan Vorchtenauer nun legte Bürgermeister Keck am 9. Oktober 1506 dem Rat der Stadt Wien dessen versiegeltes, mit 23. August 1506 datiertes Testament vor. Das Siegel wurde erbrochen, das Testament wurde eröffnet und im Rat verlesen. Stefan Vorchtenauer hatte darin verfügt, dass sein gesamtes Vermögen je zur Hälfte seiner Frau Margarete und ihrem gemeinsamen Sohn Egidius zufallen solle. Sollte Egidius vor Erreichung der Volljährigkeit sterben, so solle sein Teil Frau Margarete zufallen. Frau Margarete solle auch die Erziehung ihres gemeinsamen Sohnes Egidius und die Verwaltung dessen Vermögens zustehen, ohne jemand zur Rechnungslegung verpflichtet zu sein.

Doch sollten vor der Aufteilung des Vermögens zuerst alle seine Geldschulden bezahlt werden. Um welche Geldschulden es sich handle, sei auf Zetteln in einem Sack in der Grundstube verzeichnet. Es sei das Geld, das etliche Personen zu weilen bei ihm hinterlegt hätten, dergleichen das, was er aus der treuhändigen Verwaltung des Vermögens der Kinder des verstorbenen Lukas (Schnitzer) schuldig sei. Alles das habe er angegriffen und zu ihrer beider Nutzen verwendet. Er bitte seine Hausfrau, sie wolle ihr und ihm zu Ehren diese Schulden nach Rat seines Herrn und Vaters baldigst bezahlen, denn sie habe das gleichwohl wie er genossen. Danach sei es sein Wille, das seine Hausfrau alles entbehrliche Dienstvolk abfertige und bezahle. Dann habe sie noch so viel von dem, was er ihr hinterlassen habe, dass sie das oben Erwähnte bezahlen könne. Zur seinem Testamentsvollstrecker ernenne er seinen Vater Paul Keck und seine Frau Margarete.* (Archiv der Stadt Wien, in: Quellen zur Geschichte der Stadt Wien, II. Abt., 4. Bd., Wien 1917-19, Nr.5836a.)

Offenbar zur selben Zeit wie die Testamentseröffnung vor dem Rat der Stadt Wien hat Paul Keck Maßnahmen zur Sicherstellung des Vermögens seiner Enkelin ergriffen, auch wenn diese erst später dokumentiert wurden. Am 15. Jänner 1507 erschienen vor dem Notar Lorenz Kaplitzer Hans Phennelander, Diener des Rats der Stadt Wien, und Balthasar Pheyl, Schrannschreiber des Stadtgerichts, und verlangten die Aufnahme eines Notariatsaktes. Sie gaben zu Protokoll, dass sie nach dem Tode des Vorchtenauer vom Bürgermeister Paul Keck und dem Stadtrichter Sigmund Pernfuss wegen der Versperrung des hinterlassenen Gutes von Stefan Vorchtenauer in das Rathaus geschickt seien; sie hätten diesen Auftrag ausgeführt. Es sei ihnen nachher durch den Bürgermeister gesagt worden, Vorchtenauer habe das hinterlassene Gut des verstorbenen Lucas Schnitzer in Verwahrung gehabt. Damit es nicht verkomme und den unmündigen Kinder des Lukas bliebe, hätten sie den Auftrag erhalten, dieses Gut aus dem Rathaus in die Verwahrung des Bürgermeisters tragen zu lassen. Es seien zwei große Truhen und zwei kleine Laden gewesen. Als sie die eine große Truhe aus dem Gewölbe tragen wollten, sei ein Knabe namens Thomas in das Gewölbe gekommen und habe gesagt, dass sich zwei kristallenen Gläser in der Truhe befänden, sofern sie beim Heraustragen drinnen blieben würden sie zerbrechen. Hans habe den Knaben nach dem Schlüssel für die Truhe gefragt, ihn bekommen und in Anwesenheit des Schrannschreibers und das Knaben die Truhe eröffnet, zwei kristalline Gläser herausgenommen und sonst nichts. Die Truhe sei wieder zugesperrt und versiegelt worden und dann geradewegs in das Gewölbe im Haus des Bürgermeisters getragen worden.  Aus der späteren Klagebeantwortung im Prozess gegen Margarete Wepp geht hervor, dass Stefan Vorchtenauer im Rathaus eine Dienstwohnung gehabt hatte. Aus dieser haben die beiden die Truhen und Laden weggebracht. Paul Keckh als Bürgermeister hat darauf die Wohnung versiegelt.* (Archiv der Stadt Wien, in: Quellen zur Geschichte der Stadt Wien, II. Abt., 4. Bd., Wien 1917-19, Nr.5844.)

Rathaus und Winterhaus auf dem Stadtplan
Der Ausschnitt aus dem 1547 erstellten Stadtplan von Bonifaz Wolmuet zeigt den Ort des Geschehens. Vom Rathaus und der darin befindlichen Dienstwohnung waren es nur wenige Schritte bis zum Winterhaus Ecke Tuchlauben und Landskrongasse, wohin die Truhen und Laden verbracht worden sind.

Auch heute ist es durchaus üblich, dass Angehörige aus der Wohnung eines Verstorbenen vor der Abhandlung der Verlassenschaft Gegenstände wegschaffen. Eine solche Vorgangsweise entspricht aber nicht der Rechtsordnung. Der Umstand aber, dass sich die Witwe des Verstorben gerade im Spital befand und die Vermengung von Amtspflichten mit privaten Interessen, werfen kein gutes Licht auf den Bürgermeister. Schließlich war gehörte die Abwicklung von Verlassenschaften damals zu den Aufgaben des Rates.

Margarete war im Zeitpunkt des Todes von Stefan Vorchtenauer wegen einer Krankheit außerhalb der Stadt in Sankt Nicla vor dem Stubentor, und ist nach einem Zwischenaufenthalt im Hause des Bürgermeisters in ihr Haus in der Landskron * (Archiv der Stadt Wien, in: Quellen zur Geschichte der Stadt Wien, 2. Abt., 4. Bd., Wien 1917-19, Nr.5852.) gezogen, das sie und Stefan Vorchtenauer 1504 gekauft hatten.* (Archiv der Stadt Wien, in: Quellen zur Geschichte der Stadt Wien, 2. Abt., 4. Bd., Wien 1917-19, Nr.5793.)

Am 13.März 1507 erklärt Hans Wepp vor dem Rat der Stadt im Namen seiner Frau Magreten Rietenbergerin, dass sie die Erbschaft nach Stefan Vorchtenauer nicht annehme. Den Inhalt des Testaments habe sie erst vorigen Samstag erfahren. Die in ihrer Gewahrsame befindlichen Vermögenswerte besäße sie aus dem Titel der Heimsteuer und Widerlegung oder sie seien ihr väterliches und mütterliches Erbe. Dieses habe etwa 4000 Gulden betragen. Am 16. März 1507 ersucht Margarethe den Rat, das Gut ihrer verstorbenen Gatten, wo er es auch finde, zur Abdeckung ihrer Forderungen an Erstattung ihrer Heimsteuer und ihres väterlichen Erbes einzuziehen.

Ende März oder Anfang April 1507 brachten die unmündige Marie Schnitzer, vertreten durch ihren Großvater und Vormund Paul Keck und Barbara Härtl vertreten durch ihren Bruder Mert Keck beim Rat der Stadt Wien eine Klage auf Rückzahlung von 1063 Gulden gegen Margarethe Wepp ein, die Stefan Vorchtenauer als Testamentsvollstrecker des Lukas Schnitzer in Verwahrung gehabt hatte. Dagegen behauptete Margarethe Wepp, sie habe die Erbschaft nach Stefan Vorchtenauer nicht angetreten und hafte daher nicht für dessen Verbindlichkeiten, sie wäre also auch nicht zur Herausgabe dessen verpflichtete, was Stefan Vorchtenauer als Treuhänder für die Tochter seiner Stiefschwester verwaltet hatte. Sie benutze nur das weiter, das sie als Heiratsgut in die Ehe eingebracht habe. * (Bemerkenswert ist, dass in diesem Jahre Paul Keck Bürgermeister der Stadt Wien war. Das Verfahren wurde von Sigmund Pernfues als „angesetzter Verweser des Bürgermeisteramtes” geleitet.)

Am 15. Jänner 1509 fasste das kaiserliche Kammergericht zu Wiener Neustadt den Beschluss, dass beide Parteien ein Inventar zu erstellen hätten. Diese Entscheidung war jedoch nicht eindeutig genug abgefasst und ließ Raum für Auslegungen offen. Im fortgesetzten Verfahren vor dem Rat der Stadt Wien wurde mit allen juristischen Spitzfindigkeiten darüber gestritten, wer über welche Gegenstände ein Inventar zu errichten habe.
 
1516 wurde der Prozess vorläufig damit beendet, dass der Rat der Stadt Wien einerseits die Kläger Barbara Keck (Härtl) und Marie Schnitzer verpflichtete, ein Inventar des Inhaltes der weggeschafften Truhen beizubringen, andererseits Margarethe Wepp ein Verzeichnis des von ihr in die Ehe mit Stefan Vorchtenauer eingebrachten Heiratsgutes vorzulegen hatte. * (Archiv der Stadt Wien, in: Quellen zur Geschichte der Stadt Wien II. Abt., 2. Bd., Wien 1917-1919, Nr. 6112, S 371 - 392.)

Die Wirren nach dem Tode von Kaiser Maximilian behinderten aber offenbar auch die Erledigung dieser Streitsache. Erst am 30. Jänner 1524 stellte das Urteil der Landesregenten fest, dass keine der beiden Parteien dem Auftrag vom 16. September 1516 entsprochen habe. * (Archiv der Stadt Wien, in: Quellen zur Geschichte der Stadt Wien, II. Abt., 2. Bd., Wien 1917-1919, Nr. 6297a.) Erzherzog Ferdinand verkündete das Urteil, das der  Statthalter und der Hofrat der niederösterreichischen  Lande gefällt hatten: Die Klage des Paul Keck (für seine Enkelin) und der Barbara Härtl (jetzt schon Treytz-Saurwein) wird abgewiesen. Es bleibt ihnen jedoch unbenommen, ihre Ansprüche mit neuen Beweismittel neuerlich einzuklagen. * (Archiv der Stadt Wien, in: Quellen zur Geschichte der Stadt Wien II. Abt., 4. Bd., Wien 1917-1919, Nr. 6298a.) Am 12. März 1524 wurde das Urteil durch den Rat der Stadt Wien zugestellt.

Der Prozess dürfte die politische Karriere von Paul Keck beendet haben. Nach 1508 scheint er nicht mehr als Bürgermeister auf.


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