Die geregelte Vertreibung - Odsun
Durch die Bestimmungen der Potsdamer Konferenz wurden die
tschechoslowakischen Behörden veranlasst, den Transfer zu organisieren
und zu überwachen, sprich: in geordnete Bahnen zu lenken.
Ein Spezialreferat im Innenministerium kümmerte sich fortan um den
„odsun“, also um den „Abschub“, wie der Transfer von tschechischer
Seite verharmlosend bezeichnet wurde. Mittels Listen, in denen die
Sudetendeutschen eingetragen waren, konnte man sie mehr oder weniger
flächendeckend rekrutieren. Zettel mit der Überschrift „Upozorení“
(Hinweis) wurden auf Türen und auch auf Bäumen plakatiert. Die
Sudetendeutschen mussten sich in der Regel zu einer bestimmten Zeit auf
einem großen Platz versammeln. Von dort erfolgte der Transport in ein
Sammellager.
Ein Referat im Innenministerium hatte im gesamten Land Sammellager für
die Deutschen errichtet, in Böhmen 75, in Mähren 29. Von den
Sammellagern ging es ins Ausland. Zu diesem Zweck stellten die Behörden
Züge für jeweils etwa 1.200 Personen zusammen. Diese Personen wurden
auf 40 Eisenbahnwaggons aufgeteilt, sie durften Gepäck bis zu
50 Kilogramm mitnehmen, ebenso ausreichende Kleidung sowie ein
Barguthaben von 1.000 Reichsmark. Familien durften beim Transport nicht
auseinander gerissen, auf Kranke sollte besondere Rücksicht
genommen werden.
Der erste Transport verließ Budweis (Budejovice) am 25. Januar
1946 und erreichte bald darauf das bayrische Fürth im Wald. Von nun an
wurden täglich vier Züge abgefertigt, die ihre „Passagiere“ in
die US–amerikanische Zone brachten, ab Juli 1946 sogar sechs Züge. In
den Sommermonaten begannen auch die Ausweisungen in die sowjetische
Zone. Dorthin fuhren anfangs pro Tag zwei, später bis zu sechs Züge.
Jedenfalls wollte die tschechoslowakische Seite zu Kriegsende
deutschenfreie Zonen und schließlich erhielt sie diese ab Oktober 1946.
Nur etwa 200.000 Deutsche – es gab auch viele Mischehen (genauer:
deutsche Frauen, die mit tschechischen Männern verheiratet waren und
daher die tschecho–slowakische Staatsbürgerschaft besaßen) – verblieben
auf dem Territorium der Tschechoslowakei. – Meist hatten sie ein
Naheverhältnis zur Kommunistischen Partei, viele wurden ins Innere
Tschechiens umgesiedelt, fast alle gaben ihre deutsche Identität preis
und mutierten zu loyalen Tschechen.
Vom 1. Dezember 1945 bis zum 1. Juli 1946 siedelten die
tschechoslowakischen Behörden 2,5 Millionen Deutsche aus, davon
etwa 750.000 in die sowjetische Besatzungszone. Die meisten Aussiedler
kamen nach Deutschland, der kleinere Teil nach Österreich. Von nun an
sollte es auf beiden Seiten nur mehr ethnisch gesäuberte und damit
reinrassige Gebiete geben.
*
(Beyerl, Beppo: Die Bene¹–Dekrete — Zwischen
tschechischer Identität und deutscher Begehrlichkeit, Promedia Wien
2002.)
Man muss sich wirklich fragen, ob die Historikerkommission zu einem
einhelligen Ergebnis kommen kann. Vielleicht müssten sich einige
Tschechen mit der selbstkritischen These anfreunden, dass Vertreibung
der Deutschen dem Land wirtschaftlich und kulturell mehr geschadet als
genützt hat. Die Vertriebenen haben den Gastländern zwar in der
Anfangsphase auf dem Gebiet der Ernährung und der Wohnungsversorgung
Probleme bereitet, standen dann aber in der Periode des
wirtschaftlichen Aufschwungs als qualifizierte billige Arbeitskräfte
zur Verfügung. Sie haben nicht unwesentlich zum deutschen
Wirtschaftswunder beigetragen. Auf der anderen Seite musste Bene¹, um
die Zustimmung Stalins zur Aussiedlung der Sudetendeutschen zu
erhalten, beträchtliche politische Zugeständnisse machen, die der erste
Schritt für die Umgestaltung der Tschechoslowakei in eine
Volksdemokratie waren. So gesehen, könnte man auch zu dem Schluss
kommen, dass das tschechische Volk die Vertreibung der Sudetendeutschen
mit 40 Jahren Kommunismus bezahlen musste.
Der gemeinsame Staat der Tschechen und Slowaken überlebte das
kommunistische System nicht lange. Ende 1992 löste sich die Slowakei
aus dem Staatsverband und bildet seither einen selbständigen Staat.